Das Hauptpostamt
Das früh-modernistische Gebäude wurde in den Jahren 1922-1923 nach Entwürfen von Józef Handzelewicz errichtet. Nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg wurde es 1961 wiederaufgebaut, wobei man eine Etage wegließ, und diente fortan als Hauptsitz der Polnischen Staatspost.
Dekalog, zehn
Jerzy kauft Briefmarken von einem Postbeamten am Schalter (Tomek, Protagonisten von Dekalog, Sechs, gespielt von Olaf Lubaszenko). Es stellt sich heraus, dass trotz aller Schwierigkeiten, die den Brüdern das Briefmarken-Erbe bescherte, die von ihrem Vater “Wurzel” (Kriegspseudonym des verstorbenen Vaters) geerbte Begeisterung für Briefmarken tief verwurzelt ist. Im Polen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Briefmarkensammeln eines der beliebtesten Hobbys. Im ganzen Land gab es Briefmarkensammler-Clubs, so wie den, dem der Vater der Filmprotagonisten angehörte. Kieślowskis Lehrer an der Filmhochschule, Kazimierz Karabasz, drehte einst einen kurzen Dokumentarfilm über einen dieser Orte: Im Club (W klubie, 1963) und Tadeusz Pałka von den Dokumentarfilmwerken in Warschau, wo alle drei arbeiteten, drehte seinerseits 1975 den Kurzfilm Der Sammler (Kolekcjoner) über einen preisgekrönten Briefmarkensammler, der seine Sammlung aufbaute auf Kosten vieler Entsagungen zu Lasten seiner Frau und seiner Söhne. Doch auch in unserem Jahrhundert sind Briefmarken immer noch begehrt. Zwanzig Jahre nach der Produktion der Serie wurden aus dem Museum für Post und Telekommunikation in Wrocław historische Briefmarken im Millionenwert gestohlen. Die Diebe tauschten sie gegen täuschend echt aussehende Imitationen aus. Während der Oscar-Zeremonie 1995 wurde der Gewinner des besten Originaldrehbuchs (zu Pulp Fiction) Quentin Tarantino aufgerufen und sagte beim Aufstehen zum neben ihm sitzenden Krzysztof Piesiewicz (zusammen mit Kieślowski waren sie für das Drehbuch zu Rot nominiert): “Ich lernte das Drehbuchschreiben anhand von eurem Dekalog, zehn“.
Die in einer anderen Szene sichtbaren großen Schaufenster im Zentrum der Hauptstadt mit einem großen Schild “Briefmarken“ zeugen vom Rang und der Bedeutung, die das Briefmarkensammeln in Polen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte. Aus dem Inneren eines geparkten Fahrzeugs heraus zeigt der Sohn von Jerzy (Maciej Stuhr) seinem Vater (Jerzy Stuhr) einen Jungen auf der Straße, der ihm hinterhältig eine seltene Briefmarke aus der Sammlung seines verstorbenen Großvaters für einen lächerlichen Betrag abkaufte. Der bis dahin ruhige Jerzy, ein gesetzter Familienvater, ist ebenfalls bereit, sich eines Hinterhaltes zu bedienen, um ein wertvolles Stück Papier zurückzubekommen – er schleppt den Jungen in eine Einfahrt und verletzt ihn bis aufs Blut. Die Szene ist eine Analogie zu einer anderen in Dekalog, Fünf, in der Jacek (Mirosław Baka) Männer betrachtet, die in einer Seitenstraße (im selben Bezirk) ihr Opfer gnadenlos treten und dabei eventuell zu der Überzeugung kommt, die allgegenwärtige Gewalt sei fester Bestandteil der ihn umgebenden Welt. In der Anfangsszene der letzten Folge des Dekalog singt Jerzys Bruder Artur (Zbigniew Zamachowski) das Lied Töte, töte, dessen Worte sich zu einer Art Anti-Dekalog zusammenfügen. Krzysztof Kieślowski schrieb sie selbst. Die Gruppe in der Artur Sänger ist, ist die in den 1980er Jahren in Polen sehr populäre Rockband Róże Europy (Rosen Europas).